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Endlosschleife des Irdischen
Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ vom Theater Arkanum aus Stuttgart in Gmünds Prediger
Dass die Hölle nur das irdische Leben in Endlosschleifen spiegle, diese Annahme Jean-Paul Sartres hat Regisseur Benjamin Koller vom Theater Arkanum aus Stuttgart konsequent umgesetzt. In seiner Aufführung des existentialistischen Klassikers, noch während der deutschen Besetzung von Paris uraufgeführt, sitzen die Zuschauer mit dem Rücken zur Bühne. Das wahrgenommene Spiel findet im Spiegel statt, Distanz baut sich auf. Mit diesem Kunstgriff gelingt es Koller, das Schattendasein in Sartres Hölle über die intellektuelle Reflexion hinaus sinnlich erlebbar zu machen.
Ganz in Leder Lesbe Ines (Viktoria Zavartkayova) (r.), die Frauen begehrt, ohne Erfüllung zu finden. Auch Estelle im roten Kleid (Ulrike Stegmüller) verweigert sich.
Kollers Interpretation von „Die geschlossene Gesellschaft“ wirkt sehr emotional. Seine Schauspieler gestalten die Hölle als geistig-emotional aufwühlenden unentrinnbaren Ort. Das irdische Leben mit seinen quälenden Selbstzweifeln und seinem Begehr nach Liebe und Verständnis setzt sich einfach fort; intensiviert durch die Unmöglichkeit, zu entkommen und auf ewig angelegt. Das ist die Hölle. Es braucht kein Feuer und keine Bratspieße oder sonstiges Werkzeug, um physische Qualen zu erzeugen – es genügt die Seelenpein. Sich nur als Spiegelung des Andern erleben zu müssen, sorgt bei den schuldig gewordenen Delinquenten für ewigen Schmerz. Allein deren ewige Anwesenheit – man wird nicht müde sich zu zerfleischen – bedeutet unendliches und endloses Leiden.
Im Spiel die Lesbe Ines (Viktoria Zavartkayova), ganz in Leder als „kesser Vater“, die weiterhin Frauen begehrt. Ohne Erfüllung zu finden – denn Estella verweigert sich. Im Leben schuldig geworden durch Intrigen, die ihr das Objekt ihrer Begierde in die Arme trieb. Dabei treibt sie deren Liebhaber in den Tod. Verzweifelt tötet ihre Geliebte sich und Ines mit Gas. Zavartkayova glaubwürdig in schuldbewusster Erstarrung und dem zynischen Versuch, die Hölle als verdient anzunehmen. Höhnisch lacht sie über Reinwaschungsversuche ihrer Höllenkameraden und – sich selbst.
Estelle (Ulrike Stegmüller) überzeugt im roten Kleid als sinnlicher männerfressender Vamp, begehrt im Jenseits weiterhin Männer ohne sonderlich anspruchsvolle Kriterien. Sie, die Kindsmörderin, sucht Vergessen im erotischen Spiel. Und der einzig vorhandene Mann, der dieses Begehr befriedigen könnte, Garcin, sucht ausgerechnet intellektuelle Absolution durch Ines, „der Einzigen, die mich versteht“. Aber diese hasst ihn und weigert sich.
Mit weniger Pathos mehr Wirkung erzielen könnte Velemir Pankratov. Er spielt Garcin mit großen Gesten als verzweifelten großen Feigling, der keiner sein möchte. Seine Hölle sind fortlaufende Selbstanklage und aussichtsloser Versuch, von dieser Schuld freigesprochen zu werden.
Pankratovs Darstellung überzeichnet stellenweise, das körperbetonte Spiel schmälert Garcins intellektuelles Anliegen. Katharina Koller als Kellner spielt den überparteilichen Höllenangestellten angemessen neutral.
Ein intensives Spiel mit großen Gefühlen, das anzuschauen sich lohnt. Weitere Aufführungen am Donnerstag, 8. Juli und Freitag, 9. Juli, jeweils 20 Uhr, im Prediger Schwäbisch Gmünd.
Sartre-Drama
Im Kulturzentrum Prediger in Schwäbisch Gmünd ist noch am Freitag, 9. Juli und Samstag, 10. Juli, jeweils um 20 Uhr, Jean-Paul Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“ zu sehen: in der Inszenierung von Benjamin Koller.
Die Zuschauerkapazität ist dabei auf 40 Personen begrenzt, weil das Publikum quasi im Bühnenbild sitzt.
Benjamin Koller bietet Fortbildungen für darstellende Künstler an, in denen anhand eines Stücks eine methodische und genaue Herangehensweise an Stück und Rolle vermittelt wird. Das Projekt „Geschlossene Gesellschaft“ ist so eine Fortbildung gewesen, in der die vier Profi-Schauspieler einen fundierten Unterricht bekommen haben. Dem Regisseur ist Wahrhaftigkeit im Ausdruck und Stimmigkeit in den Handlungen auf der Bühne äußerst wichtig. Er sucht nach dem Existentiellen in der Kunst. Sein Stil bei diesem Projekt ist vom Expressionismus geprägt, seine Arbeit mit den Schauspielern sehr genau, die Handlungen sind bis ins Detail ausgearbeitet.
Karten zu 15 Euro (ermäßigt 12 Euro) an der Abendkasse. Reservierungen sind möglich unter Tel. (0711) 2623261 oder info@theaterarkanum.com. Weitere Infos im Internet unter www.theaterarkanum.com. Prediger Gmünd 20 Uhr
© Schwäbische Post 08.07.2010